Ein Bericht von unserem Redakteur Thomas Dorn
Die meisten würden von Spazieren gehen sprechen. Günter Rochlitzer nennt es Waldbaden
Gemächlichen Schrittes führt er die kleine Gruppe durch den Stromberg. „Wir wollen ruhig und achtsam durch den Wald gehen, ihn mit allen Sinnen wahrnehmen“; hat er den Teilnehmern zuvor eingeschärft. Also: Augen, Ohren und Nase aufsperren, die Düfte der Bäume, die durch chemische Substanzen miteinander kommunizieren, bewusst registrieren.
Im Internet ist der 78-jährige Michelbacher, der lange als selbstständiger Kaufmann mit Uhren und Schmuck gehandelt hat, auf das in Ostasien eher bekannte Shinrin-yoku, das Waldbaden, gestoßen. Er hat sich intensiver mit dem Thema befasst, ist von der gesundheitsfördernden Wirkung überzeugt (siehe auch Kasten). .Jede Woche eine Stunde bewusst den Wald wahrnehmen: Das stärkt das Immunsystem“, sagt Rochlitzer, der mit dieser Erkenntnis bei Medizinern kaum auf Widerspruch stoßen dürfte. „Meine Frau und ich machen das schon lange“, ergänzt er schmunzelnd. „Wir wussten nur nicht, was wir tun.“
Gezwitscher Sieben Personen, allesamt ältere Semester, umfasst die Gruppe. Vom Treffpunkt am Wanderparkplatz auf. der Anhöhe zwischen Zaberfeld und Häfnerhaslach spaziert sie auf dem alten Rennweg Richtung Westen. Eine Weile hört man noch die Autos und Motorräder der nahen Kreisstraße, dann nur noch das Knirschen der Steine unter den Schuhen. Die Sonne des Spänachmittags glitzert durch das kräftige Grün des Blätterdachs. Die Luft ist würzig und tut gut. Vögel zwitschern. Um sie zu erkennen, müsste man sich auskennen …
Für Günter Rochlitzer ist das sekundär. „Ich will gar keine Informationen“, sagt er. „Ich will, dass der Wald auf mich wirkt.“ Er sei kein Vogel-oder Naturkundler, auch kein Walderklärer. „Ich weise auf die Stille hin.“ Er will auch kein Geld mit dem Waldbaden verdienen: „Die Natur gehört uns allen.“
Die ersten drei-, vierhundert Meter gehen die Teilnehmer schweigend. Später unterhalten sie sich auch, aber Günter Rochlitzer ist es wichtig, dass die Gespräche sich nicht um die Banalitäten des Alltags drehen: „Tante Linas Hüftprobleme sollte man hier nicht besprechen.“ Es geht ums Abschalten, um Entschleunigung.
Am ersten Halt, bei den riesigen Wellingtonien, leitet Rochlitzer eine Atemübung an. Das Zwerchfell rausdrücken, tief einatmen, die Lungen füllen. Einige aus der Gruppe lesen auf der Infotafel, wie vor mehr als 150 Jahren, 1864, unter König Wihelm I. die aus Amerika eingeführten Mammutbaum-Samen übers ganze Land verteilt wurden. Horst Schuster befühlt die Rinde. Der Zaberfelder ist überrascht, wie weich sie ist. Beate Schick lehnt sich bewusst gegen den Stamm: „Da spürst du die Energie des Baumes.“ Die Kleingartacherin ist von der Heilkraft der Bäume überzeugt. „Wir haben den Zugang zum Natürlichen verloren“, bedauert sie.
Rittersprung Durch eine Rückegasse det Holzhauer geht es weiter zum sogenannten .Rittersprung“, wo sich der Sage nach im 16. Jahrhundert ein Adeliger aus dem Hause Sternenfels durch einen beherzten Sprung in die Tiefe vor seinen Verfolgern gerettet hat. Volker Dühring hat den Blick auch auf den Boden gerichtet. Als Kräuterfachmann interessieren ihn die Pflanzen am Wegesrand. Der Waldmeister. Oder der Adlerfarn. „Der wächst nicht überall im Stromberg, der braucht sauren Boden.“ Gebräuchlicher ist der Wurmfarn. „Den hat man früher zur Entwurmung genommen“, weiß der Apotheker im Ruhestand. Aber Vorsicht: „Überdosiert ist er giftig.“
Im Gänsemarsch spaziert die Gruppe auf dem Wanderweg des Albvereins bereits wieder in Richtung Ausgangspunkt. „Denkt an die Atmung“, mahnt Günter Rochlitzer. „Das langsame Gehen ist für mich anstrengend“, gibt Christa von Rekowski zu. Die Frau aus Weiler geht jeden Tag spazieren, „aber schnell“.
Dennoch äußert sie sich, wie die anderen Teilnehmer, am Ende positiv zu der knapp einstündigen Tour: „Mir hat’s gefallen.“ Auch Siegrun Feurer aus Brackenheim ist angetan, vom Spaziergang wie von Günter Rochlitzer, den sie seit Langem kennt: „Er hat Ideen ohne Ende. Und er kann Leute begeistern.“